Der Ursprung der Kulturlandschaft Forstwald

Nach dem Wiener Kongress, der endgültigen Niederlage Napoleons bei Waterloo (1815), dem zweiten Pariser Frieden und im Zuge der territorialen Neuordnung Preußens wurden im westlichen Teil des Reiches die Rheinprovinz und die Provinz Westfalen errichtet. Mit der Planung der Erweiterung der Stadt Krefeld von 1819 durch den Regierungs- und Baurat Adolph von Vagedes kommt es zu einer neuen Bauleitplanung. Das orthogonale Wallviereck und die Magistralen, die Krefeld mit dem Hinterland verbinden, sind Ausfluss französischer Ingenieurausbildung und werden von da an den Grundriss der Stadt prägen. Die damit verbundene französische Rationalität ist Anlass und Chance entlang der St. Anton Straße Bäume zu pflanzen und sie im damaligen Bauleitplan als Allee vorzusehen. Zu dem Programm der preußischen Zentralregierung gehören als Mittel zur „Beförderung des Gewerbes“ die Gründung von Gewerbevereinen und die Errichtung von gewerblichen Schulen (Webeschule). Da es keine gesetzlichen Bestimmungen, sondern nur Empfehlungen an die Oberpräsidenten und die Regierungspräsidenten gab, beschloss der Gemeinderat, nachdem die preußische Verwaltung in Krefeld eingerichtet war, eine Baupolizeiordnung (= zwischen Flächennutzungs- und Bauleitplan) zu erlassen, um das willkürliche Bauen außerhalb der Stadt sowohl an den Straßen und Wegen wie auch in den Gärten zu verhindern. Dem Geometer (Vermesser) W. Goldammer wurde am 5. Dezember 1815 der Auftrag erteilt, eine topographische Aufnahme der Stadt und ihrer näheren Umgebung anzufertigen. Im Juli 1816 legte W. Goldammer diesen Plan (Vagedes/Goldammer) vor. Die Initiative belegt, dass keine „Erweiterung“ alten Stils geplant war, sondern nur noch „ordnend“ eingegriffen werden sollte. Der Bürger hatte sich gegenüber der Verwaltung emanzipiert, was umgekehrt in der Zeit der Restauration fürstlicher Macht zu Zerreißproben führen musste.

Die Mennoniten als Avantgarde

Das Wallviereck, die Ringe und die Magistralen bestimmen den Grundriss der Planung von Vagedes; hinzu kommt die Kulturlandschaft Forstwald als Beispiel für die französische Ingenieurkunst in der Landschaftsarchitektur: die Landschaft im Westen als Pendant zur Innenstadt. Machen wir uns bewusst: der weltverändernde Vorgang, den wir rückblickend „industrielle Revolution“ nennen, hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts England zur führenden Nation gemacht. Das Jahr 1776 gilt als Zäsur. Die Unabhängigkeitserklärung der USA als politische, die Arbeit von Adam Smith über die „Ursprünge und Quellen volkswirtschaftlichen Reichtums“ als wirtschaftpolitische Zäsur. Die Kräfte der Veränderung waren 1815 Voraussetzung der Stadterweiterung. Mit der Erfindung der Dampfmaschine war alles anders

geworden. Die Dampfmaschine als zur Verfügung gestellte Potenz hatte zu einer Neubestimmung des Mittel – Zweck – Verhältnisses geführt. Sie war eng verbunden mit der Entwicklung der Naturwissenschaft und dem Willen, deren Erkenntnisse anzuwenden. Der Geist der Aufklärung, die experimentelle Naturwissenschaft und modere Technik hatten eine von traditionelle Bindungen befreite Wirtschaft gefördert, Die durch die Aufklärung möglich gewordene Form der Wirtschaft forderte die Rationalisierung der Arbeit und setzte den Willen zu ständig steigendem Wachstum voraus.[1] Diesen Willen zur Herrschaft der Vernunft im gesellschaftlichen Leben nannte Kant eine Revolution des Denkens.

Ob das Bewusstsein, die veränderte Stellung zur Natur, die experimentelle Naturwissenschaft, das Entstehen der modernen Technik oder die sich anbahnende neue Wirtschaftsauffassung den Entschluss der Familie Schumacher beeinflusst hat, 1812 auf der Heide westlich von Krefeld einen Hof zu erwerben, ist (bisher) nicht belegt. Doch hatte der Wille zur Durchsetzung rationaler Prinzipien offenbar bereits vor der Französischen Revolution sich mit einem Emanzipationsprozess verbunden, der zu einem Selbstverständnis der Mennoniten als Avantgarde geführt hatte. Der Auftrag, den Gerhard Schumacher im Jahre 1822 an den Landschaftsarchitekten Maximilian Friedrich Weyhe vergeben hat, einen Landschaftspark anzulegen, ist jedenfalls in diesem avantgardistischen Sinne zu verstehen.

Die Kulturlandschaft Forstwald ist somit repräsentativ für die Durchsetzung rationaler Prinzipien in der Landschaftsplanung. Der Plan von Maximilian Friedrich Weyhe ist ein Pendant zur Stadtplanung von Vagedes. Der Landschaftspark um Groß Lind (1822) und die Planung des Forstwaldes (Forsthaus, 1838) sind repräsentativ für die Übertragung der Regeln der Darstellenden Geometrie auf die Jagd: die Parforce­jagd. Und deshalb gelten sie als Gründungsurkunde für die Kulturlandschaft Forstwald.

Zufall oder nicht: dort wo in Europa das neue Denken am schärfsten ausgeprägt war, im revolutionären Paris, entstand Ende des 18. Jahrhunderts die erste moderne Technische Hochschule, die Ecole Polytechnique. Der diesem Denken zugrunde liegende optimistische Schwung förderte auch die industrielle Revolution, deren Bezug zur Aufklärung und die neue Wirtschaftsgesinnung. Es kam zu einer regen Straßenbautätigkeit[2].  1795 wurde die „route d’Aix la chapelle ä Crefeld“ als napoleonische Heerstraße gebaut; zunächst das Teilstück von der Stadtgrenze bis zur Obergath und ab 1809 das Teilstück stadteinwärts bis zur Neusser Straße. Nach 1800 wurde auch die Marktstraße bis zum Weeserweg ausgebaut und nach 1830 in die Forstwaldstraße eingeführt. Um 1830 erfolgte auch die Neutrassierung der St. Töniser Straße als drei- bis vierspurige Heerstraße. Als erste Bahntrasse am Niederrhein entstand ab 1849 die Bahnstrecke Ruhrort – Viersen – Mönchengladbach.

Autor: Dr. Hans-Josef Ruhland

 

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[1] Blankerz, Herwig (1969):Bildung im Zeitalter der großen Industrie, Pädagogik, Schule und Berufsbildung im 19.Jhd.,Hannover, S.53 f

[2] Krefeld (2003): Die Geschichte der Stadt, Band 4, Kirchen-, Kultur-, Baugeschichte (1600-1900), S.578